
Eine verrückte Zeit muss das gewesen sein, in der man das Internet daheim gelassen hat, wenn man sich auf Reisen begab. Oder einfach nur zum Supermarkt. Mein Kopf möchte mir vorgaukeln, ich hätte eine solche Zeit miterlebt, aber ich glaube, er lügt. Wahrscheinlich bringt er da selbst etwas durcheinander, vermischt Träume und adaptierte Erinnerungen und verklärt die scheinbar rosige Vergangenheit. Kann nämlich gar nicht sein. Eine Realität ohne absolute Erreichbarkeit? Zu lange her, als dass irgendjemand, der noch heute unter den Lebenden weilt, davon berichten könnte.
Frei oder abhängig?
Fokussieren wir uns also auf das Hier und Jetzt. Die Frage ist doch, wie wir damit umgehen. Nutzen wir die Möglichkeiten, die das Leben in der Zukunft uns bietet, oder machen wir uns davon abhängig? Ich tue Letzteres, aber das bleibt mein Geheimnis. Freiheit und Komfort klingen schöner als Abhängigkeit. Ich genieße es, ausufernde Gespräche zu führen, komme jedoch nur noch selten dazu, weil ich ausufernde Gespräche führe. Und so hakt man irgendwann bloß noch Aufgaben ab, anstatt an Dialogen mit Mehrwert zu wachsen. Raum für aufrichtiges Interesse ist dieser Tage knapp – und die Mietpreise explodieren.
Klar, ganz aus der Luft gegriffen ist das mit dem Komfort nicht. Ich trage das umfassendste Allgemeinwissen der Geschichte in der Hosentasche. Oder – seien wir ehrlich – ich halte es in der Hand. Aber brauche ich das? Wie war das noch gleich mit dem aufrichtigen Interesse? Könnt ihr die letzten fünf Dinge nennen, die ihr recherchiert habt? Und dann auch noch von den Ergebnissen berichten? Ich bin mir recht sicher, dass ich kein Melanom, sondern lediglich einen Bluterguss unter dem Zehennagel habe, aber vom Rest weiß ich nicht mehr viel. Ist allerdings auch gar nicht so wichtig, bei Bedarf kann ich ja erneut googeln.
Die Verantwortung für sich selbst
Die Mietpreise schnellen in die Höhe, in Ordnung, doch Zeit ist unbezahlbar. Würde mir jetzt bitte jemand verraten, woher die Idee kam, Erfüllung mit Quantität gleichzusetzen? Vielleicht besser, es nicht zu erfahren, denn mir schwant eine unangenehme Erkenntnis … und wer hat heutzutage schon noch die Kapazität, Verantwortung für sich selbst zu übernehmen?
Manche Menschen sind es gewohnt, dass es mitunter eine Weile dauern kann, bis ich antworte. Wenn ich denn überhaupt etwas zu sagen habe. Das sind die, bei denen mich nicht das bizarre Gefühl beschleicht, wir hätten einen unausgesprochenen Pakt geschlossen – oder der Pakt wurde bereits annulliert. Alle anderen werden sich daran gewöhnen müssen. Ich hole mir jetzt meine Selbstbestimmung zurück. Zu dem Thema findet man doch sicher ein paar Tutorials auf Youtube, oder?
Oft empfinde ich es schon als eine große Tat, wenn ich zum Bäcker um die Ecke gehe und mein Handy zu Hause lasse 😏
Das ist es! 😉
Aber ja doch – es gibt sie noch, die alten Zausel, deren einziger nichtpersönlicher Kontakt auf der verbalen Ebene im Altertum stattfand, indem sie eine Telefonzelle betraten, eine Münze einwarfen und jede Zahl der Nummer des Anschlusses einzeln wählten, indem sie an einer Scheibe drehten. Jedesmal. Mühsam. Besonders dann, wenn ein Relais oder Kondensator kaputt war und zB stets den analogen Wählimpuls 1 anstelle dem von 5 weitergab.
Ich kenne solch ein Unikum aus jener Zeit, bevor die Hendimaniacs die Welt übernahmen.
Es schafft es sogar, seine Geschichten mit Bleistift auf Papier zu kritzeln wenn es unterwegs ist und schleppt sein Notebook bloß aus prenostalgischen Empfindungen für die Zukunft mit, die bei ihm noch nicht angekommen ist.
Telefonzellen, doch, von denen will mir mein Kopf ebenfalls was erzählen. Allerdings gab es in denen wohl schon Tastentelefone. Das war in einer Zeit, in der ich angeblich sogar die meisten für mich relevanten Nummer auswendig kannte. 🤔
Ach, und richte diesem Unikum bitte meinen Respekt für die Sache mit dem Bleistift und dem Papier aus!
Ich will’s ihm gerne mitteilen, wenn es mir über den Weg läuft, danke !
Die Sache mit den Nummern ist seltsam – die Hendimaniacs wissen oft die eigene nicht aus dem Stegreif, in der Prähistorie war das anders … und sogar ich hab’ noch jene meiner ersten Freundin im Hinterkopf, respective die Nummer des Festanschlusses (mit Wählscheibenapparatur) ihrer Eltern 😉
Du hast das Tracking vergessen, was waren das noch für Zeiten, wo keiner wusste, wo man gerade ist.
In der Regel wissen es bei mir nur Google, Facebook und co, also halb so wild. 😉
Das finde ich aber sehr wild. Das geht die gar nichts an, meine Bewegungsprofile gehören mir!
Mit 36 hatte ich (Jahrgang `62) mein erstes Mobilphon. Zum telefonieren und SMS schreiben, für fast 50 DM, das war 1998. Smartphon besitze ich seit ca. 7 Jahren. Meinen ersten Netzzugang hatte ich vor 19 Jahren, meine erste Computer-Erfahrung liegt 31 Jahre zurück, seit dieser Zeit arbeite ich Computer-gestützt. Zuvor machte ich (gelernter Werkzeugmacher) meine Konstruktionen und Skizzen auf der Rückseite von Kalenderblättern oder auch mal mit Kreide auf einem Öl-verschmierten Werkstattboden 😉
Ich kann dir versichern, es geht, ohne Netz und Handy 🙂
Die Mietpreise schnellen in die Höhe, okay, doch Zeit ist unbezahlbar. Würde mir jetzt bitte jemand verraten, woher die Idee kam, Erfüllung mit Quantität gleichzusetzen? Vielleicht besser, es nicht zu wissen, denn mir schwant eine unangenehme Erkenntnis … und wer hat heutzutage schon noch die Kapazität, Verantwortung für sich selbst zu übernehmen?
Wer sagt denn, dass Gier = Erfüllung ist? Und falls, wer glaubt denn so etwas? Wer hindert dich daran, Verantwortung für dich selbst zu übernehmen? Das hat mit Kapazität nichts zu tun, es ist eine Entscheidung, allen Abhängigkeiten zum Trotz. Innere, geistige Freiheit beflügelt und führt mit Geduld und Beharrlichkeit auch zu äußerer Befreiung. Was die meisten Menschen, mich selbst eingeschlossen, daran hindert, sind die alten Glaubenssätze aus der Kindheit, die in unserem Unterbewusstsein wie Scheiße am Schuh kleben. Es geht, diese loszuwerden, mit den Jahren.
Grüße aus dem Tal der Wupper, Reiner
Es geht, sicher. Auch ich habe meine Jugend ohne Smartphone und mobiles Internet verbracht. Ich war 21, als ich mich dem Druck gebeugt habe. 😉
Nun, das ist eher ein allgemeiner Eindruck. In einer Zeit, in der unter den populärsten Apps solche sind, die dir den Inhalt ganzer Bücher in ein paar Sätze quetschen, damit du das Wesentliche aus möchlichst vielen Werken in möglichst wenig Zeit mitnehmen kannst, könnte man zu so einem Schluss kommen.
Davon abgesehen möchte ich mit dem von dir zitierten Absatz genau das sagen: Es ist eine Entscheidung, für die jeder selbst verantwortlich ist. Nur schiebt man die Verantwortung gerne von sich weg. Zumindest geht es mir so. Im Grunde steht sich also höchstens jeder selbst im Weg, auch wenn es manchmal so wirken mag, als wäre man dem machtlos ausgeliefert … und hätte erst recht keine Zeit, sich damit auseinanderzusetzen.
Danke dir für den ausführlichen Kommentar und herzliche Grüße zurück! 🙂
Ich kann mich sehr gut an die Zeit ohne Smartphones erinnern, als wir via Festnetz und aus Telefonzellen miteinander sprachen, fixe Zeiten vereinbaren mussten und gerade das Rituelle und Verbindliche schön fanden, weil es Wert hatte und Vorfreude schürte. Uns Briefe schrieben, jeweils einen pro Woche – aber wahrscheinlich gingen wir damals viel natürlicher mit den Dingen+Menschen um, wir agierten anscheinend mehr aus den Herzen, nicht aus dem Kopf, und wenn wir jemanden wirklich mochten, da gab es keine Analysen und Bewertungen über Quantität und Qualität. Es gab – hoffentlich nicht nur – weil uns die technischen Möglichkeiten fehlten, keine Machtkämpfe via Telefon oder Mail. Wir konnten uns noch im Austausch verlieren, uns an den Augenblick hingeben, ob das jetzt dem Wachstum dient, oder nicht, haben wir uns gar nicht gefragt, wir haben uns GESPÜRT. Aber die Zeit scheint vorbei, Dinge (+ Menschen?) werden mit dem Hirn angepackt, bzw besteht jetzt anscheinend ein Anspruch, ob ein Austausch einen Mehrwert oder tieferen Sinn hat, einem dienlich ist oder jemand einfach den exakt richtigen Zeitpunkt dafür erwischen muss. Tut er das nicht, oje, das kann böse enden! Ja, schade um diese “gute, alte” Zeit, als das alles noch spontan, frei von der Leber weg und direkt aus dem Herzen heraus stattfinden durfte, ohne dass man Grenzen verletzt, von denen man gar nicht wusste, dass man da gleich in Landminen poltert.
Ich bin sicher, nein, ich wünsche dir, dass die richtigen Menschen dich finden werden, die völlig frei von jeglicher Erwartung sind, die im gleichen Rhythmus mit dir schwingen, was die Balance zwischen Qualität und Quantität betrifft und diese möglichst immer respektieren. Das bisschen Spontanität oder Ungestüme, das man damit opfert, dürfte ein angemessener Preis für den Zeitgewinn sein.
Ich bin überzeugt, die Menschen werden sich dran gewöhnen auf dich zu warten, wenn du dran bleibst! Die mit einem gewissen Maß an Intelligenz verstehen das sofort, wenn du es ihnen so klar formulierst.
Und für die wirklich ganz lästigen Gesellen*innen, die das partout nicht einsehen wollen und sich trotzdem noch melden, gibt es, da bin ich sicher, ebenfalls erfolgversprechende Youtube-Tutorials!
In diesem Sinne, alles Gute für dich, ich bin sicher, du wirst hier noch viele Menschen inspirieren!
LG Heidi
❤
Öhm, ich rede mir erfolgreich ein, mein Handy begleite mich ausser Haus nur deshalb, damit mein Schrittzähler Arbeit kriegt und ich danach Fitnessbuchhaltung führen könne.
LG Tom
Ich denke, so ist es auch. Klingt plausibel. 😉
Bestimmt kann man das Tutorial googeln 🙂
Das ist definitiv die Zukunft. 😉
Die absolute Erreichbarkeit hat es bei mir tatsächlich nie gegeben. Und ich ertappe mich dabei, mein Handy auch mal zu Hause liegen zu lassen. Zugegeben….selten. Aber ich erinnere mich noch an einen Spruch meiner Kinder, die da meinten, warum ich überhaupt ein Handy habe. Ich sei ja doch nie erreichbar. Alle Töne sind stumm….es sei denn, ich erwarte einen dringenden Anruf. Aber sonst ist das Teil still. Und die neue Generation blinkt auch nicht mehr, wenn eine Nachricht reinkommt. So entscheide ich, ob ich drauf schaue oder nicht. Mein Handy ist mein Fotoapparat, mein Lexikon, mein Navi und meine Musikbox. Und manchmal auch mein Telefon :). Und um deine Frage zu beantworten: natürlich gibt es Tutorials auf Youtube 😉 . https://www.youtube.com/watch?v=NPZoEndY2ho
Interessanterweise finde ich, du machst das genau richtig, und dennoch gehöre auch ich zu denen, die ihren Freunden schon des Öfteren dieselbe Frage gestellt haben.
Oje, es gibt sie wirklich … 😅
Naja.. das hand sollte für mich da sein…nicht umgekehrt.
Lieber Kevin,
ich bin ehrlich – ich liebe das Internet. Aus drei Gründen: 1. Es ähnelt stark meinem Denken (sehr vernetzt und ich kann mir, wie an einem Bufett, heraussuchen, was gerade für mich interessant ist – das mag ich sehr!). 2. Ohne das Internet wäre ich nicht aus der Depression etc. gekommen. Wissen, Erfahrungen, Austausch – Dafür muss ich nicht 2 Wochen bis zum nächsten Therapietermin warrten, sondern kann eben googlen, auch nachts halb 2. Ohne diese Vorgehensweise hätte ich es nicht geschafft. Wenn ich auf meinen Weg zurückschaue und das Internet herausstreiche… Ich wäre höchstwahrscheinlich noch immer depressiv oder es würde mir noch schlechter gehen. Und mein 3. Grund: Ohne das Internet würde es meine Webseite nicht geben :-). Sie ist für mich mittlerweile DER feste Halt und Anker in meinem Leben. Ich kann mich ausdrücken, meine Erfahrungen teilen und zum Beispiel Themen wie sexuellen Missbrauch ansprechen.
Aber ich verstehe natürlich, was du meinst. Mein Facebook-Entzug im Dezember 2020 dauerte rund Wochen ;-). Seitdem ist es für mich kein Thema mehr. Und ja: Ich bin stolz darauf, kein Instagram-Profil zu haben.
Ich würde also das Internet nicht per se verteufeln. Es ist, wie so häufig,der bewusste Umgang damit. Und der liegt ja bei jedem selbst :-). Außerdem kann ich dir nun diesen Kommentar schreiben, obwohl wir uns nicht persönlich kennen. Das ist doch was :-).
Herzensgruß, Kirsten
Guten Morgen Kirsten,
ich verteufle das Internet keineswegs per se. Es bietet uns unfassbare Möglichkeiten, derer du ja einige genannt hast. Die Frage ist immer, wie wir damit umgehen.
Einen ganz lieben Gruß zurück und natürlich danke für deinen Kommentar – das ist in der Tat schon was. 😉
Ich fahre die nächsten Tage nach Frankreich. Ich wünsche mir KEINEN Empfang für mich und ETWAS Empfang für die Kids …
Ich wünsche dir, dass deine Wünsche wahr werden.
Wie immer ein toller Text 🙂
Ich bedanke mich aufrichtig! 🙂