Über die Schönheit des Verfalls

Ich finde Ruinen faszinierend. Es mag befremdlich klingen, aber für mich sind die anmutigsten Städte jene, welche dem Zahn der Zeit zum Opfer gefallen sind. Wenn die Natur wieder die Oberhand gewinnt und nach und nach sämtliche Mauern einreißt, zeigt sich das wundervolle Gesicht des Verfalls – Endlichkeit in seiner schönsten Form.

Fragt mich nicht, warum, doch mit lebendigen Städten kann ich eher wenig anfangen. Noch nie bin ich durch belebte Gassen gezogen und habe so etwas wie einen Zauber verspürt. Die Bauwerke können vor Jahrhunderten errichtet worden sein, solange sie aber entweder bewohnt oder genutzt werden, bergen sie für mich keinen Reiz. Die obligatorischen Ausnahmen stellen abseits gelegene Burgen und Schlösser dar. Ich schätze, dass diese schlicht eine grundsätzliche Aura vergangener Zeiten umgibt.

Nun ist es allerdings nicht so, dass ich ausschließlich an der Vergänglichkeit Gefallen finde, denn Vergänglichkeit und Neubeginn gehen Hand in Hand. Der Anblick moosüberwucherter Ruinen löst in mir vielmehr ein Gefühl der Ruhe und der Hoffnung aus. Wenn die Stille einkehrt, kehrt der Frieden wieder. Gleichzeitig fesseln solche Plätze und regen die Vorstellungskraft an.
Wenn ihr euch gerade im Inneren eines Gebäudes befindet, versucht einmal, euch bewusst zu machen, dass auch die Mauern, die euch umgeben, nicht von Bestand sein werden. Es mag Jahre, Jahrzehnte oder Jahrtausende dauern, früher oder später liegen sie jedoch entweder in Trümmern oder am Grunde eines Ozeans … sofern sie nicht mit einem einzigen Schlag vom Erdboden getilgt werden.

Die Ruinen, die verlassenen und vergessenen Orte, die das Antlitz unseres Planeten zieren, erzählen Geschichten. Menschen haben dort gelebt. Es ist nicht leicht, sich das vor Augen zu führen. Das Leben dort hat sich so real angefühlt, wie es das unsere tut – weil es real war. Jede Vergangenheit war einmal die Gegenwart, und auch die Zukunft wird irgendwann vorüber sein. Doch wenigstens bis ans Ende aller Tage wird dem Heute ein Morgen folgen. Und das ist ein erbaulicher Gedanke, oder geht es nur mir so?

Über die Schönheit des Verfalls
                                                        

Kevin Jell

Ich wandle zwischen Nostalgie und Zuversicht – das beschreibt mich ganz gut, glaube ich.

20 Kommentare zu „Über die Schönheit des Verfalls

  • 2. Juli 2021 um 06:46
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    Ich kann das gut nachvollziehen, mich faszinieren solche Orte auch sehr und ich spinnen mir meine eigenen Geschichten darüber, was dort wohl so alles passiert sein mag.
    Herzliche Grüße
    Regina

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  • 2. Juli 2021 um 09:05
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    Mich faszinieren auch alte verwunschene Orte, die aus der Zeit gefallen sind. Herzliche Grüße, Susanne

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  • 2. Juli 2021 um 10:23
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    Die schönsten Ruinen fand ich in Schottland. Ich kann mich nicht mehr an alle erinnern, aber an die Geister dort noch ganz genau, als wäre es gestern gewesen.
    Großbritannien ist voller Magie in der Natur und in den Ruinen und Schlössern. Und komischerweise kamen die Geister genau da, wo ich eigentlich wieder gehen wollte, weil ich mich nicht wohl fühlte. In einem Schloss tauchte eine Frau auf, um mir zu helfen. Sie lag auf dem Bett und sagte, dass ich mir einen König suchen sollte, der zu mir passt. Ich verstand erst nicht, was sie wollte und ob ich es ernst nehmen sollte. Doch als mir eine Mitarbeiterin des Schlosses ein Buch zeigte, in dem alle verzeichnet waren, die dort einmal wohnten, viel mir auf, dass sie dabei war. Sie nannte mir nur ihren Spitznamen. Als ich darauf zeigte, meinte die Mitarbeiterin, dass sich der Geist einer jungen Frau schon mehreren gezeigt hätte. In einer alten Ruine saß ein Mann, ein Soldat, auf einer Mauer und ließ gelangweilt ein Bein hin und her schaukeln, während er seinen Arm auf dem anderen angewinkelten Bein bequem abstützte, das auf der Mauer stand. Ein Geist. Als ich auf der Wiese an ihm vorbei ging, sagte er zu mir: “Suche dir einen König und keinen Hampelmann. ” Mir wurde vor Jahren damals immer mehr bewusst von Ruine zu Ruine und von Schloss zu Schloss, dass ich mit dem Falschen dort unterwegs war. Schlussendlich riefen noch die Naturwesen unter einem uralten Baum, wo wohl alle Outlander-Fans zu finden sind, an den Steinen, die dich in die Vergangenheit bringen: “Du musst es ihm sagen.” Ja ich habe es ihm gesagt, am Ende der Reise, als ich mutig genug war. Wir sahen uns nie wieder. Auf einer langen Reise siehst du das wahre Gesicht in deinen Begleitern. Also schau genau hin.

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  • 2. Juli 2021 um 12:23
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    Das kann ich gut nachvollziehen. Dieses Gefühl, in den Überresten von etwas zu stehen, das einst groß und stolz war und jetzt aus Ruinen besteht – weil nichts für immer ist… Das ist schon etwas Besonderes.

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  • 2. Juli 2021 um 18:15
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    Bin da ganz bei dir – ich liebe ‘Lost Places’ und dazu zählen Ruinen natürlich auch… 🙂

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    • 2. Juli 2021 um 20:08
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      Oh ja, Lost Places. Fand ich auch immer super spannend. Und letzte Woche habe ich endlich ein paar besucht. 😀

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  • 2. Juli 2021 um 23:49
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    “Jede Ruine bewahrt die Erinnerung an die Menschen, die sie einst bewohnten…. Eine Ruine ist nie einfach leer. Sie bleibt stets ein lebendiger Raum der Abwesenheit…” John O’Donohue aus seinem Buch “Echo der Seele ” Das Buch kann ich Dir nur empfehlen.

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  • 3. Juli 2021 um 00:59
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    Nein, geht nicht nur dir so. Kann mich mit Burgen und ihrer Geschichte lange beschäftigen und gibt glaube ich, keine Doku die ich noch nicht gesehen habe:) Hab sogar eine Zeitlang in einer in Brandenburg gewohnt bzw. darin Theater gespielt. Wildwasser, nach Karl May, der ja neben dem Winnetou sein wollen auch ganz viel über Brandenburgische Geschichte schrieb. In den vier Wochen konnte ich mir fast wirklich vorstellen wie das Leben im 14 Jahrhundert dort war. Und genau das, mir vorzustellen wie die Menschen gelebt haben, auch wenn es oft ziemlich dreckig war oder eben hart. Es bleibt aber faszinierend. LG

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    • 3. Juli 2021 um 15:14
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      Oh ja, da habe ich auch einiges gesehen.

      Sehr cool, glaube ich, dass das eine interessante Erfahrung war.
      Die Vergangenheit bleibt grundsätzlich faszinierend, ja. 😀

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  • 3. Juli 2021 um 21:02
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    Hej Kevin, da ist sie wieder, die Gemeinsamkeit. Ich finde Ruinen ebenfalls faszinierend. Mir vorzustellen wer da mal wie gelebt hat….Spannender Gedanke. Aber auch wie die Natur sich ihr Gebiet zurück holt ist immer wieder schön mit anzusehen.

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  • 5. Juli 2021 um 09:51
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    Hallo Kevin,
    mich fasziniert das auch total. Es muss aber nicht mal eine Ruine sein. Ich bin in einem alten Bauernhaus aufgewachsen und da wecken selbst ausgetretene Treppenstufe solche Gedanken bei mir: Wer hier wohl schon alles langgelaufen ist? In dem Keller da mussten sich meine Großeltern im Krieg bei Luftangriffen verstecken? Das Haus ist aber noch viel älter …
    Aber auch jede Stelle, wo man sieht, wie die Natur sich Stück für Stück alles wieder zurückholt, ist faszinierend. Auf andere Art irgendwie, denn die erzählt (ganz tröstlich), dass das Leben weitergeht, auch wenn wir Menschen nicht mehr da sein sollten. 😉
    LG, Tala

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    • 5. Juli 2021 um 22:41
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      Das stelle ich mir doch auch faszinierend vor. Ich glaube, wenn ich selbst darin lebe würde, fände ich das tatsächlich ebenfalls spannend.

      Ja, es wird weitergehen. Wahrscheinlich sogar deutlich friedlicher. Und das finde ich obendrein tröstlich. 😉

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  • 5. Juli 2021 um 20:29
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    Das Vergangene ist nun einfach so viel inspirierender, weil es dazu anhält, sich Gedanken zu machen, während das Moderne uns ständig vor dem Auge herumflimmert. Als Kind bin ich mit meinem Opa immer durch den Wald zu einer Ruine gewandert und habe mir seine Geschichten angehört. Das hat wohl auch meine Fantasie beflügelt, wenn es um das Schreiben geht. Noch heute wander ich so gerne zu geschichtsträchtigen Orten, aber auch einfach mal nur durch kaum begangene Pfade, wo sich das eine oder andere Mauerstück oder auch nur ein Stein mit einer Innschrift befindet.

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    • 5. Juli 2021 um 22:56
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      Ja, da ist was dran.
      Und ich kann das absolut nachvollziehen. Gerade zufällig über die Reste oder vermeintliche Reste irgendwelcher Grundmauern zu stolpern ist wundervoll. In der Gegend in Schweden, in der ich lebe, gibt es eine Menge verlassener Höfe im Wald, oder zumindest die Überreste davon. Das ist schon etwas Besonderes.

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